Städte und Stadtstaaten zwischen Mythos, Literatur und Politik
28.10.2016Internationaler Workshop vom 28. bis 29. Oktober 2016 Institut für Klassische Philologie
Städte und Stadtstaaten zwischen Mythos, Literatur und Politik bietet eine interdisziplinäre Untersuchung der Repräsentationen der Städte und ihrer Räume in Politik und Literatur anhand von griechischen und lateinischen Texten vom 7. Jh. v.Chr. bis zum 5. Jh. n.Chr. aus der Sicht von Philologie, Geschichte, Literaturwissenschaft und Archäologie an.
Das Hauptinteresse dieser Veranstaltung gilt dem Einfluss politischer und propagandistischer Faktoren auf die Entwicklung kanonischer Darstellungsformen der Städte in der griechischen Klassik und ihrer Rezeption und Transformation in den gewandelten historischen Situationen der römischen Kaiserzeit und der Spätantike. Die Städte spielten eine Hauptrolle für die Entwicklung der kulturellen Identität in der antiken Welt, weil sie nicht nur der Raum der politischen Auseinandersetzung und der Vollzüge des täglichen Lebens sind, sondern auch der Ort, wo die Gründungsmythen der klassischen griechischen Kultur entstanden und ihre kanonischen literarischen Formen erhielten. Die Bilder von Städten wie Athen, Theben oder Argos schon als rein physischer Orte sind durch die mit ihnen verbundenen Mythen in Fremd- wie Selbstwahrnehmung stark beeinflusst. Der politische Diskurs greift diese Wahrnehmungen auf und gestaltet in bestimmten politischen Konstellationen propagandistische Selbstbilder oder Feindbilder aus der Sicht der politischen Gegner: z.B. ist einerseits Theben mit den Tragödien der Ödipus-Familie verbunden, anderseits erinnert Argos stets an das Schicksal der Atridenfamilie.
Hauptquellen für eine Analyse der Mythen der Städte und ihrer literarischen Gestaltungen sind die homerischen Epen und v.a. die attischen Tragödien. Wegen der engen Verzahnung von Politik und Literatur in der Gattung „Tragödie“ möchte dieser Workshop die hier nachweisbaren poetischen und politischen Interpretationen der Thebaner und Argiver Mythen in Athen und ihren archäologischen Kontext ins Auge fassen. Wegen der kanonischen Geltung der attischen Tragödie (einschließlich der dort fixierten inhaltlichen Gestaltung der Mythen) sind die Fassungen der erwähnten Mythen in Rom und in der Spätantike der Sache nach immer rezipierende Stellungnahmen zu diesen (in Affirmation oder Abgrenzung). Hier stellt sich die Frage nach den Mechanismen von Kanonisierungsprozessen: Wie behält ein Mythos, dessen kanonische Version unter bestimmten politischen Bedingungen (in Athen) entstanden ist, seine Verbindlichkeit auch in einer völlig veränderten politischen und kulturellen Situation? Wie gelingt ggf. die Verlagerung eines Mythos in einen apolitischen, rein literarischen Raum? Wie werden städtische Räume fiktionalisiert? Da die Dynamik des Erzählinhalts in Kaiserzeit und Spätantike nicht mehr im selben Maße wie zu der Entstehungszeit der Athener literarischen Fassungen der Mythen gegeben ist, liegt prima facie die Vermutung nahe, dass die Anpassung nicht auf dem Wege der Neuschöpfung von Inhalten, sondern durch Reinterpretation vorgegebener Inhalte erfolgt. Diese Hypothese gilt es zu überprüfen. Dies ist eine wichtige wissenschaftliche Frage dieses Workshops.
Mythen sind nicht statische Zeugnisse eines kulturellen Selbstverständnisses, sondern ein Korpus dynamischer Formen und sozialer Leitbilder. Diese Leitbilder sind für den politischen und sozialen Alltag der Stadt modellhaft, und entwickeln sich ihrerseits in Relation zu diesem durch Anpassung oder Distanzierung mit einer eigenen Dynamik. Diese Dynamik äußert sich in den – aufgrund der literarischen Zeugnisse lediglich rekonstruierbaren – mündlichen Mythentradition, die ein bevorzugter Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung ist, ebenso wie in den Medien des Theaters und der bildenden Kunst, die Gegenstand der Klassischen Philologie und der Archäologie sind, wobei die Anpassungs- oder Transformationsprozesse entsprechend den Medien und ihren Kontexten variieren. Um diese Varietäten hermeneutisch in den Griff zu bekommen und zueinander in Beziehung zu setzen, möchte der Workshop die je einschlägigen Disziplinen und ihre Methoden miteinander ins Gespräch bringen.