Intern
Institut für klassische Philologie

41. Sokratisches Treffen in Würzburg

29.04.2017

Asyl und Migration in Antike und Moderne 29. bis 30. April 2017

Flucht und Aufnahme, Migration und Asyl sind Problemfelder, die in unseren Tagen von größter Aktualität sind, sich aber schon zu Beginn der europäischen Literatur in Griechenland finden. Der frühgriechische Dichter Hesiod schildert die Erfahrung seines Vaters, der seine Heimat in Kleinasien verlassen musste, um bessere Lebensumstände in Griechenland zu finden. Und Euripides lässt Medea in der gleichnamigen Tragödie formulieren:

„Wo winkt mir die Freistatt, ein Land, ein Haus, das den Fremdling bewirtet, sein Leben beschirmt?“ (Verse 387f.)  

Diese Worte deuten an, was das griechische a-sylos („Freiheit von Raub für Mensch oder Ding“) meint. Medea lässt die Hoffnung eines jeden erkennen, der aus seiner Heimat fliehen muss und Sicherheit sucht: dass die mit der Flucht verbundene Rechtlosigkeit beschränkt wird und dass man gastliche, die Persönlichkeit respektierende Aufnahme findet – eine Problematik und eine Hoffnung, die oft in der griechischen Literatur beschrieben und z.B. von Platon in den Nomoi reflektiert wird, aber für jenen Flüchtenden von zeitloser Bedeutung ist. Das mit dem Erflehen von Schutz (Hikesie) verbundene Ritual, das den Übergang vom menschlichen Verfügungsbereich in den der Götter markiert, Fragen von Rechtlosigkeit, Probleme beim Umgang und bei der Aufnahme von Fremden sind Thema zahlreicher Tragödien.

Die damit angesprochenen Probleme, die uns heute aus aktuellem Anlass beschäftigen und beschäftigen müssen, sollen mit den Vorträgen unseres diesjährigen Treffens aufgegriffen und zum Gegenstand von Diskussion und eigenem Nachdenken gemacht werden.

 

Programm:

 

 

Samstag, den 29. April 2017  

9.30 Uhr        
Eröffnung: Prof. Dr. Michael Erler  

10.00-11.00 Uhr
Prof. Dr. Ulrich Sinn, Würzburg
Asyl in der Antike: Eine Idee zwischen Anspruch und Versagen – Vorbild bis heute

Unser Asylrecht – bereits der Name signalisiert es – hat seine Wurzeln im antiken Griechenland. Um zu signalisieren, dass Menschen Beistand benötigten, vollzogen sie an einer Sakralstätte das Ritual des Schutzflehens (Hikesie). Ein Priester war verpflichtet, den Sachverhalt zu prüfen und auf dieser Grundlage eine Entscheidung über das weitere Schicksal der Schutzflehenden herbeizuführen. In den Schriften antiker Autoren (Historiker, Philosophen Dramatiker) finden sich viele Informationen über den Vollzug der Hikesie. Überwiegend berichten sie von Ablehnung und Missachtung. Zugleich klingt in ihnen ein andauerndes Ringen um die Funktionsfähigkeit der Sakralnorm an. – Der Vortrag unternimmt den Versuch, der antiken Realität durch den Blick auf ausgewählte archäologische Befunde näher zu kommen.

11.30-12.30 Uhr
Vanessa Zetzmann, Würzburg

„Eurem Vater sag ich, was er sprechen soll“ – Hikesie und ihre rhetorische Darstellung in der attischen Tragödie
In der attischen Tragödie begegnen uns immer wieder Szenen, in denen verfolgte Neuankömmlinge um Aufnahme in einer Polis bitten. So findet sich die Hikesie mindestens einmal bei allen drei Tragikern als zentrales Thema eines Stückes (z.B. Aischylos’ Hiketiden, Sophokles’ Ödipus auf Kolonos oder Euripides’ Hiketiden). Hierbei fällt auf, dass die ‚fremde‘ Sprache der Supplikanten und die Notwendigkeit der angemessenen Supplikationsrede immer wieder thematisiert und somit zu einem wichtigen Kriterium der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv – meist der Polis Athen – stilisiert werden. Dieser Vortrag möchte daher erforschen, welche rhetorische Form die Sprache der Hikesie annimmt und wie das Konzept der ‚sprachlosen‘ Schutzflehenden die antike Sicht auf Asyl und Rechtslage der Supplikanten prägt.  

14.30-16.30 Uhr
Freie Theatergruppe In Media Scaena
Balázs Szálinger: Die Kinder des Ödipus
Übersetzung: Mariette und Véronique Heinrich
Wiederaufnahme der deutschsprachigen Erstaufführung
Man stelle sich vor, Merkel und Putin stehen plötzlich im Wohnzimmer und streiten über die Krim. So ähnlich geht es einer Familie in Balázs Szálingers "Die Kinder des Ödipus", das von Mitgliedern der freien Theatergruppe in Media Scaena übersetzt und erstmals auf Deutsch aufgeführt wird. Nur dass es eine altgriechische Herrscherfamilie ist, die ihre Konflikte da plötzlich vor den Augen einer ganz normalen Kleinfamilie austrägt. Und plötzlich ist der große mythische Krieg ganz nah...  

18.15-19.45 Uhr
Prof. Dr. Barbara Schmitz, Würzburg

„Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten“ (Lev 19,34).
Flucht, Vertreibung und Migration im Alten Testament
„Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten“ (Lev 19,34) – es sind Sätze wie diese, die die Fremdenethik des Alten Testaments prägen. Den Spuren dieser Fremdenethik soll sowohl in den alttestamentlichen Rechttraditionen als auch in den Erzählungen der Bibel nachgegangen werden. Dabei soll nach ihrer historischen Verankerung in der Geschichte Israels sowie nach ihrer Lebensrelevanz – damals wie heute – gefragt werden.  

Oliver Jörg MdL, Würzburg
Begriffe von Asyl und Migration – Aktuelle Entwicklung in der Flüchtlingspolitik
Das Thema Asyl und Migration bewegt die Menschheit seit jeher: Bereits im Alten Testament und im antiken Griechenland lassen sich Hinweise auf Vertreibung und Abwanderung, aber auch auf Aufnahme und Zuflucht finden. Dementsprechend werden die historischen und juristischen Formen von Asyl und Migration erläutert, ebenso wie die aktuellen politischen Entwicklungen und Hintergründe der sogenannten Flüchtlingskrise mit dem Schwerpunkt in Bayern.  
Zwei Vorträge und eine Podiumsdiskussion  
Ort: Toscanasaal in der Residenz  

 

Sonntag, den 30. April 2017  

9.45-10.45 Uhr
Dr. Bernhard Koch, Institut für Theologie und Frieden, Hamburg

Ethische Aspekte von Flucht und Migration
Erst die sogenannte „Flüchtlingskrise“ vom Herbst 2015 hat auch in Deutschland den moralphilosophischen Debatten um eine „Ethik der Migration“ mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Zunehmend beteiligen sich auch Philosophen in Deutschland an diesen aus den angelsächsischen Ländern übernommenen Diskussionen, wie beispielsweise das gerade neu erscheinende Buch von Julian Nida-Rümelin (Über Grenzen denken. Eine Ethik der Migration, Hamburg 2017) oder der Reclam-Bestseller von Konrad Ott (Zuwanderung und Moral, Stuttgart 2015) zeigen.
Wie aber bereits der Vergleich dieser beiden Publikationen zeigt, kann man grundverschiedene Herangehensweisen an dieses eminent politisch-praktische Problem von Zuwanderungskontrolle und –beschränkung finden. Während Nida-Rümelin Kommunitarismus und Kosmopolitismus gegenüberstellt vertraut Ott auf Max Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Im Vortrag soll versucht werden, die unübersichtliche Diskussion etwas zu strukturieren und dadurch aufzuklären. Dabei wird sich zeigen, dass die Antworten auf die Frage nach einem ethischen Umgang mit Flüchtlingen und Migrationswilligen nicht zuletzt von grundlegenden politisch-philosophischen Vorannahmen abhängig ist.  

11.00-12.00 Uhr 
Anna Schwetz, Würzburg

Deutschkurse für Flüchtlinge – ein Erfahrungsbericht
Für den Winter 2015 wurden in und um Würzburg, wie z.B. am Hubland Nord, Notunterkünfte eingerichtet. Sehr viele Menschen mussten auf engem Raum miteinander leben und auf die Entscheidung über ihre Zukunft warten – eine Situation, die Konfliktpotential in sich barg. Im Dezember wurden vorbereitende Sprachkurse ins Leben gerufen, die außer zur Vermittlung von grundlegenden Sprachkenntnissen auch zur Entschärfung der Lage beitragen sollten: So konnte bis zur Entscheidung über den Aufenthaltstitel die Zeit produktiv genutzt und Perspektiven vermittelt werden. In diesem Rahmen war ich als Deutschlehrerin tätig. Von 25 Kursteilnehmern waren 16 Männer und drei Frauen aus Syrien und sechs Männer aus Eritrea. Ich möchte von manchen schwierigen Situationen, interessanten kulturellen Begegnungen und vielen bereichernden Erlebnissen berichten.  

12.00-13.00 Uhr   
Karl-Wieland Kurz, Darmstadt

Diaphonie Nr. 2
Tertium Organum für Klavier
 
Parergon zu den Carmina Socratica von Günter Stahl (Texte) und Karl-Wieland Kurz (Musik)  
Werkeinführung und Aufführung  
Ort: Toscanasaal in der Residenz  

 

Die Tagung findet, sofern nicht anders angegeben in der Bibliothek des Instituts für Klassische Philologie der Universität Würzburg im 3. Stock der Würzburger Residenz statt.

Veranstalter
Sokratische Gesellschaft in Verbindung mit der Universität Würzburg (Institut für Klassische Philologie)

Kontakt
Prof. Dr. Michael Erler (michael.erler@mail.uni-wuerzburg.de)
Prof. Dr. Christian Tornau (christian.tornau@uni-wuerzburg.de)

Julius-Maximilians-Universität WürzburgInstitut für Klassische Philologie Residenzplatz 2, Tor AD 97070 Würzburg Tel. 0931/3188419

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